Dalibor Galić

Über meinen Freund John

Heute darf ich Euch von einer besonderen und aussergewöhnlichen Person berichten. Meinem Freund John. 

Ich traf John vor etwas mehr als zwei Jahren am Beginn meiner Ausbildung beim Institut Kutschera. John war mir gleich sehr sympathisch und wir wurden rasch Freunde. Wir führten sehr oft lange Gespräche. Was mir bei John besonders auffiel war, das er keine Ratschläge gab. Seine Überzeugung war, das Ratschläge fast wie Schläge sind. Er sagte dazu einmal zu mir: „Das steckt ja schon im Wort selbst, oder nicht?“ Und damit hatte John gar nicht mal so unrecht.

Ratschläge sind wie Schläge

Jemand spricht mit uns und erzählt uns von seinem Leid oder von einem Problem. Manches Mal sind wir versucht, gleich darauf einen Ratschlag zu geben. Wir glauben zu wissen, was die Lösung für das Problem ist. Wir geben dann einen Ratschlag nach dem anderen. Oft wollen die Personen einfach nur erzählen und sie erwarten sich keine Antwort. Noch weniger erwarten oder wollen sie Ratschläge. Manches Mal reagieren sie sogar mit Ablehnung auf unsere Ratschläge. Kommt Euch das bekannt vor?

John ist anders. Er hört in Ruhe zu. Wenn John das Gefühl hat etwas sagen zu müssen, erzählt er einfach nur eine Geschichte. Es sind meist Geschichten und Erlebnisse von Bekannten, Nachbarn, oder von Freunden, oder von einem Freund eines Freundes. Manches Mal hat sich eine Geschichte tatsächlich so zugetragen und manches Mal erzählt John aus früheren Erfahrungen mit seinen Klienten.

Kindern erzählt er am Liebsten Geschichten in denen Tiere vorkommen. Das hören Kinder besonders gerne. Da glänzen ihre Augen und sie hängen John an den Lippen. Er denkt sich die Geschichten für Kinder in dem Moment aus, während er sie erzählt. 

Moment mal, wie soll man sich eine Geschichte einfach so aus den Fingern saugen? Es ist gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint. John lässt einfach seine Phantasie schweifen. Es gibt dabei kein richtig oder falsch. Wenn ein Kind darüber grübelt, ob es etwas richtig oder etwas doch nicht so wünschenswertes gemacht hat, erzählt John manchmal eine Geschichte über eine Bärenfamilie. Baby-Bär, Kind-Bär, Mama-Bär und Papa-Bär. 

Während die Bärenfamilie auf Ihrer Reise Abenteuer erlebt, machen die Kinder manchmal Schabernack. Papa-Bär und Mama-Bär erzählen dann den Kindern, wie gefährlich es im Wald sein kann. Vor allem dann, wenn die Kinder einfach tun was sie wollen ohne Aufsicht der Bären-Eltern. Diese Geschichten werden in der Gegenwart erzählt und John baut in seinen Geschichten auch immer die direkte Rede ein. So z.B. sagen Mama-Bär und Papa-Bär zu den Bären-Kindern: „Egal was ihr auch tut, Mama-Bär und Papa-Bär lieben euch über alles und wir werden euch immer vor den Gefahren des Waldes beschützen.“ Auch wenn das nur Teil einer Geschichte ist, fühlen sich die Kinder dabei selbst angesprochen und beschützt.

John verwendet auch das Prinzip von Ursache und Wirkung. So z.B. fügt er der Geschichte hinzu: „Während die vier Bären durch den Wald mit den gefährlichen Wölfen gehen, fühlen sich die Bären-Kinder beschützt und sicher weil sie wissen, dass Mama-Bär und Papa-Bär auf sie aufpassen und nie aus den Augen lassen.“

Auf den ersten Blick haben diese Geschichten vielleicht wenig mit dem Leid oder dem Problem zu tun, welches die Person (ob Erwachsener oder Kind) bedrückt. Es kann natürlich passieren, dass Teile der Geschichte der Person vertraut vorkommen. Auch wenn nur sehr vage und oft kommen sie auch erst später darauf. Ab und zu enthalten diese Geschichten auch Elemente, welche der Person helfen, ihr Problem vielleicht in einem anderen Licht zu sehen oder vielleicht sogar schon mögliche Lösungsansätze liefern.

Geschichten & Metaphern > Ratschläge

Wie mir mein Freund John das zum ersten Mal erzählt hat, war ich sehr skeptisch. Ich war es gewohnt, anderen supertolle Ratschläge zu geben. Auch wenn ich zugeben muss, das manche Personen auf meine Ratschläge nicht wie erhofft reagiert haben. Oft waren sie sogar wütend auf mich. John bat mich, es doch einfach mit Geschichten und Metaphern auszuprobieren. 

Anfangs war das gar nicht leicht für mich. Wie so vieles im Leben, ist es schlussendlich Übung und Training. Ich bin zwar immer noch Anfänger darin, werde aber besser und besser. Ab und zu frage ich meinen lieben Sohn: „Wann hört Training auf?“ Seine Antwort lautet stets richtigerweise: „Nie!“

Bei einer Gelegenheit fragte ich John, wie er überhaupt auf diese wunderbare Idee mit den Geschichten gekommen ist. Er lächelte mich herzlich an und sagte: „Mein Lieber, ich habe mir das nicht ausgedacht. Das stammt ursprünglich von Milton Erickson.“ John erzählte mir, das Milton Erickson ein berühmter Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut war, der die moderne Hypnose und Hypnotherapie maßgeblich prägte und ihren Einsatz in der Psychotherapie förderte. Nach ihm wurde auch das „Milton-Modell der Sprache“ benannt.

Nachtrag: Beim Schreiben dieses Blogs hatte ich keine Idee, welches Foto ich dieses Mal verwenden sollte. Ich fragte natürlich auch John, doch dieses Mal hatte sogar er keine Geschichte parat. Und schon gar keinen Ratschlag.

Da sprang mir plötzlich der Bär im Kinderzimmer ins Auge. Dieser Bär hat eine sehr lange Geschichte hinter sich. Eine sehr persönliche Geschichte. Dieser Bär ist nun über 15 Jahre alt. Auf einmal durchfuhr ein Gedanke wie ein Blitz meinen Verstand: der Bär hatte keinen Namen! Nicht einmal „Teddy“ oder „Bärli“ oder was auch immer. Ich dachte nie daran, ihm einen Namen zu geben. Bis heute nicht. Bis zu diesem Blog. Aber jetzt hat mein lieber Bär endlich seinen wohlverdienten Namen erhalten. Ihr könnt Euch diesen Namen sicherlich denken…