Dalibor Galić

Über den Minimalismus

Ich weiß noch sehr genau, wann ich mich zum ersten Mal bewusst dem Minimalismus zugewandt habe. Das war im Sommer 2019. Da bereisten meine Frau, mein Sohn, meine Tochter und ich Neuseeland in einem wunderbar engem Wohnmobil. Von dieser Reise soll es sogar ein Buch geben. Doch der Reihe nach.

Heute möchte ich Euch das Buch „Love People – Use Things“ von Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus vorstellen. Spoiler vorab: wem das Buch zu mühsam ist, einfach die Dokus „Minimalism“ und „The Minimalists“ auf Netflix reinziehen. 

How might your life be better with less?

Joshua Fields Millburn & Ryan Nicodemus, Love People – Use Things

Die zwei Minimalisten gehen einer essentiellen Frage auf den Grund: „How might your life be better with less?“ Das ist eine wundervolle und sehr starke Frage. Ohne es zu wissen, habe ich mir diese Frage selbst während der Reise in Neuseeland gestellt und gleichzeitig beantwortet.

Vor Neuseeland war ich mit Sicherheit kein Minimalist, sondern genau das Gegenteil. Ich habe mein Leben mit vielen materiellen Dingen vollgestopft. Zum Einen haben viele Impulskäufe getätigt, welche mir Befriedigung verschafft haben. Zum Anderen habe ich auch Käufe für mein Ego und mein (vermeintliches) Selbstbewusstsein getätigt, wie z.B. ein teures Auto. 

Kurzfristig war ein großes Entzücken und eine Freude an diesen Dingen da. Mittel- und Langfristig brachte mir das jedoch nur Nachteile. Angefangen von den Kosten für Anschaffung und evtl. zusätzlichen Käufen (z.B. bei Elektronik-Zeugs), über Lagerung, evtl. Reparaturen und Upgrades, weil ein besseres / schöneres / schnelleres Modell vorhanden war. 

Es gab für mich noch einen weiteren, riesigen Nachteil, welchen ich erst spät realisiert habe: diese materiellen Dinge hielten mich gefangen und ich war nicht frei in meinen Entscheidungen. Je mehr ich im Laufe meines Berufslebens verdiente, umso mehr Geld gab ich aus. Ich hatte im Grunde nie ein Einkommens-Problem, sehr wohl aber ein Ausgaben-Problem. Ich lebte über meine Verhältnisse. Wenn ich den Job wechselte, durfte ich keinesfalls weniger verdienen. Das hat einen enormen Druck bei mir erzeugt.

Wollt Ihr zwei meiner verrücktesten Ausgaben hören? Egal, ich sag’s trotzdem: 2015 hatten wir dermaßen viel Kleidung und sonstigen Kram, dass wir uns einen riesigen Einbauschrank nach Maß in unserem Schlafzimmer machen ließen. Wir kauften also ein sündhaft teures Ding, um andere Dinge (die wir großteils nicht nutzten) dort lagern zu können. Jetzt ist dieser Schrank halb leer (bzw. halb voll für die Optimisten unter Euch), aber der Platz im Schlafzimmer ist futsch. 2016 wollte ich ein super schickes Auto haben. Ich konnte es mir jedoch leider nicht leisten, also habe ich es einfach geleased. Sehr clever, nicht wahr?  

Nachdem ich mich dem Minimalismus zuwandte, war auf einmal viel mehr Geld auf dem Konto vorhanden. Für mich persönlich war dies der größte Befreiungsschlag. Nicht nur finanziell, ich hatte auch viel mehr Raum für so viele andere Dinge im Leben. Auch in der Wahl des Jobs war ich nun freier als vorher.

Millburn und Nicodemus beschreiben das ähnlich: „Minimalists don’t focus on having less, less, less; they focus on making room for more: more time, more passion, more creativity, more experiences, more contribution, more contentment, more freedom. Clearing the clutter creates room for the intangibles that make life rewarding.“

Does this thing add value to my life?

Joshua Fields Millburn & Ryan Nicodemus, Love People – Use Things

Die beiden Minimalisten beschreiben im Buch einige Regeln, wie man weg vom Materiellen und hin zu wichtigeren Werten im Leben kommt. Bitte einfach selbst nachlesen, aber zwei Ansätze haben sich für mich besonders bewährt.

Die erste und allerwichtigste Regel bzw. Frage ist: „Does this thing add value to my life?” Es zahlt sich aus, länger darüber nachzudenken. Brauche ich dieses Ding wirklich, oder wäre es nur nett es zu haben? Verbessert es irgendwas in meinem Leben und bringt es tatsächlich mehr Wert in mein Leben bzw. das Leben meiner Liebsten? Am einfachsten ist es, sich die Dinge gar nicht erst zu holen, sofern diese Frage nicht positiv beantwortet werden kann. Und wenn man sich nicht sicher ist, einfach mal abwarten. Oft ist dieses Ding nach ein bis zwei Wochen gar nicht mehr attraktiv. Meine Frau und ich haben auch die Vereinbarung, dass Anschaffungen ab einem bestimmten Betrag gemeinsam besprochen und beschlossen werden.

Zweitens: wenn man schon Dinge hat, kann man überlegen sich derer zu entledigen. Z.B. mit der „One In, Ten Out“ Regel. Wenn man sich einen Pullover kauft, müssen dafür zehn andere Kleidungsstücke die Wohnung verlassen. Oder wenn man sich ein neues Möbelstück kauft, müssen zehn andere Einrichtungsgegenstände ausgemustert werden. Sei es nun durch Verkauf, verschenken bzw. spenden, oder durch Entsorgung im Müll. Diese Regel halte ich nicht zu Gänze ein. Zehn ist wirklich viel. Ich versuche aber, zumindest ein bis zwei oder drei Gegenstände zu finden, welche die Wohnung dann verlassen müssen. Wir machen natürlich nicht bei den Kleidungsstücken halt. Jedes „Ding” im Haushalt wird begutachtet, bewertet und entsprechend behandelt.

Wir haben jedoch generell schon sehr viel entsorgt. Nicht alles auf einmal, es ist ein langer Prozess. Oft habe ich manche Kleidungsstücke nur zur Seite gelegt. Nach dem zweiten oder dritten Durchlauf habe ich sie dann entsorgt, da ich sie eh nicht getragen habe. Gerade gestern haben wir erneut die Schränke durchwühlt und es sind wieder ein paar Kleidungsstücke ins Exil geschickt worden. Entweder in den Müll, wie am Foto zu erkennen ist, oder sie stehen im Internet zum Verkauf. Wir machen natürlich nicht bei den Kleidungsstücken halt. Jedes „Ding” im Haushalt wird begutachtet, bewertet und entsprechend behandelt.

Neuseeland war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich habe in dem engen Wohnmobil sehr viel über Minimalismus lernen dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir sparen seitdem zwar bei materiellen Dingen, nicht aber bei Reisen und ähnlichen Erlebnissen. Dafür darf und soll Geld vorhanden sein. Auch wenn aufgrund der Pandemie sich das leider reduziert hat. Aber langsam geht es hoffentlich auch in diesem Bereich wieder bergauf.

Aber auch bei Reisen muss das Geld nicht mit beiden Händen zum Fester rausgeworfen werden. Man kann sehr viel erleben, ohne das die Kreditkarte explodiert. Generell gehe ich mit Geld nun viel bewusster um.

Eine Gruppe, welche den sorgsamen Umgang mit Geld besonders propagiert, sind die Frugalisten. Was genau hinter Frugalismus steckt und wie das im Verhältnis zum Minimalismus steht, erfahrt Ihr im nächsten Blog.